Kinderzähne schützen - die rechtlichen Rahmenbedingungen
Ohne Einwilligung der Eltern können Kinderzähne nicht behandelt werden. Solange Kinder klein sind, kommt es diesbezüglich nicht zu Kontroversen. Doch mit zunehmendem Alter wächst auch die Einsichtsfähigkeit der Kinder, und so können Jugendliche auch vor Vollendung des 18. Lebensjahres einwilligungsfähig sein. Doch was passiert, wenn die Meinung der Eltern und eines einwilligungsfähigen Jugendlichen nicht miteinander harmonieren, was muss der Zahnarzt tun, und was sagt die Rechtsprechung dazu?
Die rechtliche Qualität zahnärztlicher Eingriffe
Jeder zahnärztliche Eingriff erfüllt, rechtlich gesehen, den Tatbestand der Körperverletzung. Erst durch die Einwilligung des Patienten oder des gesetzlichen Vertreters entfällt die Rechtswidrigkeit, sodass der Eingriff nicht strafbar ist. Werden Kinderzähne behandelt, ist grundsätzlich die Einwilligung der Eltern als gesetzliche Vertreter des Kindes erforderlich. Mit zunehmendem Alter werden Kinder reifer und ihre Einsichts- und Urteilsfähigkeit steigt. Unter Einhaltung eng gesteckter Grenzen können sie deshalb bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres einwilligungsfähig sein. Dann ist der Zahnarzt verpflichtet, sich von der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Jugendlichen selbst ein Bild zu machen.
Ab welchem Alter ein Jugendlicher einwilligungsfähig ist, lässt der Gesetzgeber offen. Es ist jedoch, ähnlich der Geschäftsfähigkeit, davon auszugehen, dass eine Einwilligungsfähigkeit ab dem 14. Lebensjahr vorliegen könnte. Die Einwilligungsfähigkeit wird jedoch nicht einfach unterstellt, sondern muss vom behandelnden Zahnarzt unter Berücksichtigung bestimmter Kriterien geprüft werden. Dazu gehören die Bedeutung und die Tragweite des zahnmedizinischen Eingriffs sowie seine Risiken und Auswirkungen, die der Jugendliche kennen und einschätzen können muss. Insoweit müssen auch die entsprechenden individuellen kognitiven Fähigkeiten vorliegen. Von der Rechtsprechung unbeantwortet bleibt bis heute die Frage, ob zusätzlich die Einwilligung der Eltern eingeholt werden muss, wenn der Jugendliche einwilligungsfähig ist. Deshalb gilt für Zahnärzte, wenn er Kinderzähne behandelt, die Empfehlung, auch bei einsichtsfähigen Jugendlichen das Einverständnis der Eltern einzuholen. Das gilt umso mehr, je schwerwiegender der zahnmedizinische Eingriff ist.
Wenn Kinder und Eltern bezüglich der Behandlung der Kinderzähne uneins sind
Probleme entstehen dann, wenn die Meinung der Eltern bezüglich der Behandlung der Kinderzähne von der des einsichtsfähigen Jugendlichen abweichen. Dann kann es passieren, dass der Zahnarzt in einen Gewissenskonflikt gerät. Die Entscheidungsbefugnis der Eltern erstreckt sich auf alle Bereiche, also auch auf medizinische Maßnahmen einschließlich der Behandlung der Kinderzähne. Welchen Einfluss der Minderjährige nehmen kann, ist abhängig von seiner geistigen und sittlichen Reife und damit von seiner individuellen Urteils- und Einsichtsfähigkeit. Das bedeutet, dass der Minderjährige in der Lage sein muss, die Bedeutung und Tragweite der Behandlung der Kinderzähne zu erfassen. Selbst wenn diese Voraussetzungen vorliegen, stellt sich die Frage, ob die Eltern zum Schutz des Kindes und für eine mögliche Korrektur der Entscheidung einbezogen werden müssen.
Das sagt die Rechtsprechung
Es gibt bislang nur wenige Einzelfälle, die bezüglich dieses Sachverhaltes verhandelt wurden. Ohnehin konzentrieren sich diese Einzelfallentscheidungen auf alle medizinischen Maßnahmen und nicht ausschließlich auf Kinderzähne. Bisher wurden diese Sachverhalte höchstrichterlich vom BGH (Bundesgerichtshof) entschieden:
- 1958 sahen die Richter die Einwilligung eines einsichtsfähigen 14-jährigen Mädchens in eine Schilddrüsenoperation als ausreichend an, da eine Einholung der elterlichen Zustimmung nicht möglich war.
- 1971 reichte die Einwilligung eines 16-jährigen Mädchens in die Behandlung von Warzen mittels Röntgenstrahlen nicht aus. Der BGH begründete seine Entscheidung damit, dass der medizinische Eingriff einerseits aufschiebbar und andererseits nicht unwichtig sei.
- 1991 hielt der BGH die Einwilligung der Eltern für erforderlich, als ein fast 18-jähriger Jugendlicher infolge einer Operation, die die Beseitigung einer Aortenisthmusstenose zum Ziel hatte, eine Querschnittslähmung erlitt.
- 2006 sprach sich der BGH dafür aus, dass noch nicht volljährliche und einsichtsfähige Jugendliche gegenüber ihren Eltern ein Vetorecht zustehe unter der Voraussetzung, dass Minderjährige umfassend medizinisch über den bevorstehenden medizinischen Eingriff aufgeklärt werden.
Es bleibt dabei: Die Entscheidung obliegt den Eltern oder dem gesetzlichen Vertreter
Für die Praxis bedeuten die genannten Entscheidungen, dass Jugendliche mit der entsprechenden Einsichts- und Urteilsfähigkeit in die Entscheidung mit einbezogen und umfassend über den Eingriff informiert und aufgeklärt werden müssen. Das gilt auch für die zahnmedizinische Behandlung der Kinderzähne. Daraus geht allerdings nicht hervor, wie zu entscheiden ist, wenn die Meinung der Eltern und die des einsichtsfähigen Jugendlichen bezüglich der Behandlung der Kinderzähne voneinander abweichen. Eine klare gesetzliche Regelung fehlt indes.
Aus den genannten Gründen wird ein uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht von Minderjährigen auch dann abgelehnt, wenn diese über die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügen. Wichtig ist jedoch, dass sie über die Behandlung der Kinderzähne umfassend aufgeklärt werden, während die eigentliche Entscheidungsbefugnis bei den Eltern beziehungsweise dem gesetzlichen Vertreter verbleibt. Bei divergierenden Behandlungswünschen ist es deshalb sinnvoll, dass der behandelnde Zahnarzt im Gespräch einen Konsens herbeiführt.